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Betreuung: Prof. Dr. Andreas Victor Walser, Prof. Dr. Thomas Späth
Jede Gesellschaft hat ihre je eigene Form der politischen Kommunikation, die gesellschaftlich etablierten Mustern folgt und an bisherige Wahrnehmungen und Deutungen von Themen und Ereignissen anknüpft. Unterschiedliche politische Systeme bieten abweichende Verhaltens- und Kommunikationsmöglichkeiten. Die politischen Akteur*innen müssen gleichzeitig berücksichtigen, was für Meinungen und Wertvorstellungen ihr Zielpublikum hat und welche Kommunikationsformen in verschiedenen Interaktionskontexten etabliert sind. Öffentliche Kommunikation orientiert sich an institutionalisierten und ungeschriebenen Regeln und ist geprägt von Gegenwartswahrnehmungen und Relevanzzuschreibungen. Die Analyse politischer Kommunikation kann entsprechend Kommunikationsgewohnheiten einer Gesellschaft sichtbar machen und ermöglicht Erkenntnisse darüber, wie die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gedeutet und wie aktuelle Geschehnisse in diesem Kontinuum verortet werden. Es wird sichtbar, welches Wissen und Gewissen, welche Meinungen und Einstellungen, Wertungen und Deutungen sowie gerade aktuelle Wichtigkeitszuschreibungen die Kommunizierenden in einer Gemeinschaft voraussetzen: Was ist etabliert, gewünscht oder erwartet, was passend, interessant und überzeugend?
Für die Gesellschaft der Polis Athen im 4. Jh. v. Chr. gewähren überlieferte öffentliche Reden einen wichtigen Einblick in die damalige öffentlich-politische Kommunikation. Dieses Forschungsprojekt fokussiert auf die Evaluation dieser politischen Kommunikation in den attischen Volksgerichtshöfen, einer der wichtigsten Institutionen der antiken Demokratie. Ziel ist es, durch Betrachtung dort gehaltener Reden Erkenntnisse zu gewinnen zunächst zum Gerichtshof als Kommunikationsort der antiken Bürgergemeinschaft, dann zu Wissen, Wertvorstellungen, Meinungen, Erinnerungen und Gegenwartswahrnehmungen im attischen Demos und schliesslich zu Formen der strategischen Kommunikation und deren Wirkungen in der antiken Gesellschaft.
Um antike politische Kommunikation zu analysieren, wird in diesem Projekt ein aus den Kommunikationswissenschaften stammendes Framing-Modell aufgegriffen. Dieses ermöglicht, Kommunikation als vielschichtigen Prozess auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen und in verschiedenen Kontexten zu analysieren, an dem unterschiedliche Akteur*innen beteiligt sind. Framing wird damit nicht nur als Mittel der Präsentation von Inhalten untersucht, sondern ausgewertet werden auch Kommunikationskontexte und Framing-Effekte im Zielpublikum. Dieses Framing-Modell stellt eine für die Altertumswissenschaften neue Herangehensweise dar. Das Modell entsprechend im Rahmen dieses Projekts auch adaptiert, um für die Betrachtung antiker Gesellschaften verwendet werden zu können. Dazu wird das auf den französischen Soziologen Maurice Halbwachs zurückgehenden Konzept der sozialen Gedächtnisse mit dem Framing-Ansatz verbunden. Dies erlaubt eine Frame-Analyse ohne die Experimentalstudien und statistischen Auswertungen, auf denen die kommunikationswissenschaftlichen Studien heute oft basieren, da so nach Gedächtniswirkung von Kommunikation und den Effekten mobilisierter Erinnerungen in der öffentlichen Diskussion gefragt werden kann.
Mit dieser Verbindung kulturwissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Methoden wird also ein Tool für die Betrachtung antiker Reden konzipiert, das dann an den drei Gerichtsreden des attischen Staatsmannes Aischines getestet werden kann. Vertieft wird dabei die Betrachtung der Volksgerichtshöfe als Ort der politischen Kommunikation in der antiken Demokratie. So kann gezeigt werden, dass dieser Kommunikationskontext nicht nur zentraler Ort des Austausches innerhalb der Bürgergemeinschaft war, sondern auch, dass die dortige Interaktion und Kommunikation zwischen Staatsmännern und breiterer Bürgerschaft nach anderen Regeln funktionierte als in der Volksversammlung oder anderen politischen Institutionen Athens. Es können vom Kommunikationskontext abhängigen Rollen identifiziert werden, die die Akteure übernahmen und die mit je spezifischen Aufgaben und Erwartungen verknüpft waren. Aufbauend auf der Frame-Analyse werden weiter an den Gerichtsreden Kommunikationsstrategien sichtbar gemacht, die auch erkennen lassen, wie wichtig systematische Wiederholungen waren, um Kernaussagen über lange Reden hin zu vermitteln. Auch gezeigt werden kann die zentrale Rolle rhetorischer Stilmittel, um das Publikum anzusprechen und emotional zu Bewegen. In diesem Projekt kann somit gezeigt werden, wie eine Frame-Analyse ein interessantes Mittel sein kann, um attische Gerichtsreden ihn ihrer Gesamtkonzeption zu evaluieren, strategische Kommunikationselemente ans Licht zu bringen und damit neue Einblicke in die Wirkungsmöglichkeiten von Rhetorik in der antiken athenischen Gesellschaft zu bringen.