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Betreuung: Prof. Dr. Andreas Victor Walser, Prof. Dr. Reinhold Bichler
Felix Jacoby
Die Frage, die sich Felix Jacoby in seinem RE-Artikel zu Herodot bei seiner Betrachtung des Schlusskapitels der Historien stellte, wird im laufenden Dissertationsprojekt für das gesamte Werk Herodots verfolgt: Was ist Ironie und wie lässt sie sich erkennen? Welche Rolle spielt die Ironie in den Historien? Lässt sich von Ironie sprechen, um Herodots Geschichtsverständnis zu charakterisieren?
Obwohl in zahlreichen Interpretationen von Herodots Historien bei einzelnen Passagen immer wieder von Ironie die Rede ist, besteht keine Einigkeit über die Relevanz, Ausprägung und Bedeutung dieses Phänomens für das Gesamtwerk und das Geschichtsverständnis ihres Autors. Ein Grund hierfür lässt sich darin ausmachen, dass Ironie und antike Geschichtsschreibung zwei Kategorien sind, die in der Forschung bislang selten systematisch zusammengedacht wurden: „Komik“, in deren Bereich Ironie nach landläufigem Verständnis zunächst eingereiht zu sein scheint, komme nach Hermann Strasburger bei Herodot allenfalls als „schmückendes Beiwerk vor“, was an der „naturgegebenen Stillage der Komik“ liege, „die, weil zu tief unter der Historiographie, zu ihr nicht zu passen scheint“. Dabei beginnt doch die Geschichte der Geschichtsschreibung ganz buchstäblich mit einem Verweis auf das Komische, wenn Hekataios im ersten Satz seines Werkes die zahlreichen Geschichten der Griechen als „lächerlich (γελοῖοι)“ bezeichnet.
Neben der Möglichkeit, mittels Ironie Komik zu erzeugen, gibt es verschiedene weitere Einsatzmöglichkeiten: Es kann Kritik geübt, Distanz aufgebaut oder durch Vorausdeutungen Spannung erzeugt werden. Die Analyse dieser Wirkungen von Ironie kann das Verständnis der Historien vertiefen und erweitern. Dies gilt auf der einen Seite für die bereits bekannten Forschungsfelder, die sich mit der Form und den Adressaten der von Herodot geübten Kritik oder der literarischen Gestaltung seiner Erzählung beschäftigen. Auf der anderen Seite bietet eine Beschäftigung mit der Ironie eine Chance zur Vermittlung zwischen den verhärteten Fronten bei der Frage, wie Herodot als Geschichtsschreiber zu bewerten sei. Die distanzstiftende Wirkung der Ironie ermöglicht es Herodot, sich an vielen Stellen seines Geschichtswerks nicht festzulegen, was ihn aus dem diametralen Gegensatz von ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘ heraushebt, in welchem ihn die Forschung zumeist verortet. Ironie eignet sich dazu, Gewissheiten aufzulösen und findet daher einen ihrer bevorzugten Anwendungsbereiche im Kontext von epistemologischen Problemen.
Die Historien sind geprägt von der allgegenwärtigen Auseinandersetzung mit solchen Fragen und Problemstellungen. Vorgeführt wird dies in den zahlreichen Episoden, in denen die Akteure mit ihren Wissensvorsprüngen oder -rückständen, Annahmen und Gewissheiten und den daraus folgenden Handlungen gezeigt werden. Die dabei zutage tretenden Differenzen bieten ein überreiches Feld für das Auftreten von Ironie. Während die bisherige Forschung in der Regel dabei stehen bleibt, einzelne Wendungen oder Episoden als ironisch zu bezeichnen, strebt das laufende Forschungsprojekt an, ihre Bedeutung im Gesamtzusammenhang des herodoteischen Werkes zu deuten und es in den Kontext der geistesgeschichtlichen Situation seiner Entstehungszeit einzuordnen.
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