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Christine: Stelle dich bitte kurz vor. Wer bist du, was machst du und was sind deine Interessen?
Valerija: Ich bin Valerija Vlasic, ich studiere an der Uni Zürich im Hauptfach Geschichte und im Nebenfach Populäre Kulturen. Ich habe gerade meine Bachelorarbeit eingereicht, nächstes Semester bin ich dann im Master. Geschichte hat mich schon immer interessiert, aber ich bin erst auf den zweiten Bildungsweg hier angelangt. Besonders die Kombination von Präzision und Kreativität, die bei der historischen Forschung immens wichtig ist, gefällt mir sehr und ich hoffe, dass ich auch nach meinem abgeschlossenen Studium in diesem Bereich arbeiten kann.
Christine: Das hört sich spannend an. Welches Projekt möchtest du uns heute vorstellen?
Valerija: Ich stelle heute mein Mapping-Projekt vor. Es handelt sich um ein Projekt, das das Augsburger Wunderzeichenbuch mappt. Die Idee entstand im Rahmen meiner Seminararbeit für das BA-Seminar „Digital History – neue Methoden für die Geschichtswissenschaft“, das ich bei Dir, Christine, belegt habe. Im Zentrum dieser Untersuchung steht das Augsburger Wunderzeichenbuch, eine neuzeitliche Quelle aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine Sammlung, die verschiedene aussergewöhnliche Phänomene dokumentiert, wie z.B. Naturkatastrophen, Kometen, Heuschreckenplagen, Wundergeburten etc. Das zentrale Produkt meines Projektes ist eine selbst erarbeitete Webseite mit einer interaktiven GIS-Karte (GIS = Geoinformationssysteme), auf der die verschiedenen geografischen Standorte der Wunderzeichen visualisiert werden. Diese Punkte aus der Karte lassen sich dann auch nach verschiedenen Kategorien filtern. Zusätzlich bietet die Webseite noch detaillierte Informationen über die Quellen, Wunderzeichen im Allgemeinen, aber auch über den Einsatz der digitalen Methoden in der Geschichtswissenschaft, mit einem Fokus auf Geoinformationssystemen.
Christine: Wie bist du auf das Wunderzeichenbuch aufmerksam geworden?
Valerija: Das war eigentlich ganz spontan. Ich bin über das Wikipedia-Surfen auf diese Quelle gestossen und sie erschien mir perfekt für ein GIS-Projekt. Es gibt genügend, aber nicht zu viele Daten und die Quelle enthält fast immer einen Ort und ein Datum zu jedem Wunderzeichen, ersichtlich auf den prachtvollen Illustrationen.
Christine: Wie dürfen wir uns das Wunderzeichenbuch eigentlich vorstellen?
Valerija: Ich habe leider nur die Faksimile-Ausgabe gesehen. Sie ist von Kunsthistorikern publiziert worden. Die Originalquelle ist in Privatbesitz. Auf den Blättern, also den Folia des Manuskriptes finden sich jeweils eine sehr eindrückliche Darstellung des Wunderzeichens und eine kurze Beschreibung mit Ort, Verortung, zeitlicher Datierung und einem kurzen Beschrieb des Phänomens.
Christine: Hast du auf deiner Webseite diese Illustrationen auch umsetzen können?
Valerija: Glücklicherweise konnte ich sie verwenden. Am Anfang des Projektes stand das noch etwas infrage, da natürlich die Frage des Copyrights im Raum stand. Aber ich habe mich dann mit dem Verlag, mit den Kunsthistorikern und auch mit dem Kurator der Handschrift in Verbindung gesetzt. Sie waren alle sehr angetan von dem Projekt und gaben mir auch die Erlaubnis, die Bilder für die Webseite zu verwenden. Ich stehe auch jetzt noch in Kontakt mit ihnen.
Christine: Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, dass du dieses Projekt letztendlich auch realisieren hast können? Oft ist es von einer ersten Idee bis zu einem digitalen Produkt ein langer und beschwerlicher Weg, oder?
Valerija: Exakt, am Anfang hatte ich etwas Sorge, da es ein ambitioniertes Projekt ist und ich eben noch nicht so viel Erfahrung im Bereich des Webdesigns und auch in der Kartierung hatte. Aber ich dachte, das ist eine gute Möglichkeit, mir diese Fähigkeiten – zumindest die Basics – anzueignen. Nun denke ich, dass es sich gelohnt hat. Ich habe neue Skills erworben und konnte diese jetzt auch für meine Bachelorarbeit nutzen.
Christine: Das ist sehr erfreulich! Von welchen Seiten hast du denn Unterstützung gebraucht?
Valerija: Glücklicherweise hatte ich von verschiedenen Seiten Hilfe, eben von Dir, Christine, und natürlich auch von der DLF (Digitale Lehre und Forschung der UZH). Sie hatten mich schon von Anfang an unterstützt und meine Ideen gut geheissen. Sie haben mir die WordPress-Seite vorbereitet sowie das Plugin der GIS-Karte. Zudem gab es immer wieder gute Zusammenarbeit mit den genannten Autoren des Wunderzeichenbuchs und auch mit den Kommilitonen und Kommilitoninnen.
Christine: Lass uns bitte noch über den Prozess und Deine methodische Herangehensweise sprechen. Wie hast du Deine Daten eigentlich aufgebaut?
Valerija: Zuerst habe ich das Modell einer Datenbank aufgebaut, in der ich die einzelnen Wunderzeichen und ihre Elemente auf eine einfache Excel-Datei reduziert habe. Dann habe ich die jeweilige geografische Verortung recherchiert. Die geografischen Koordinaten nennt man Latitude und Longitude, sie lassen sich mithilfe von Google oder auch anderen Datenbanken gut im Internet finden. Nachdem ich die Daten gegengecheckt hatte, konnte ich sie in meine Tabelle übernehmen und in mein eigentliches Tool importieren. Dieses war WP Google Maps, ein Plugin für Wordpress, das mir die DLF dankenswerterweise vorbereitet hatte. Nach der Implementierung ergaben diese Koordinationen dann visualisierte Punkte auf der Karte. Diese habe ich dann so angepasst, dass zum Beispiel der Setview, also die Anfangsposition der Karte, über Europa lag, und nicht hineingezoomt über Deutschland oder der Schweiz dargestellt wurde. Anschliessend wurden verschiedene Änderungen vorgenommen wie z.B. Kategorisierungen, einerseits zwischen diesen zwei Marker-Kategorien mit der geografischen Verortung, andererseits über die Wunderzeichentypen, die man nach beispielsweise Schlagwörtern wie „Wundergeburten“, „Himmelszeichen“, „Blut“ etc. oder auch nach der zeitlichen Einordnung filtern kann.
Christine: Gab es denn auch Schwierigkeiten, Probleme, Herausforderungen? Und wie bist du damit umgegangen und konntest du sie lösen?
Valerija: Ja, zunächst stand die Frage des Urheberrechts der Illustrationen im Raum. Hätte ich die Abbildungen nicht für die Webseite verwenden dürfen, hätte das gesamte Projekt sehr viel verloren. Ich bin dankbar, dass die Autoren und der Verlag so kooperativ waren. Zudem gab es einzelne Probleme mit den Funktionen der GIS-Karte; ich konnte nicht alles so umsetzten wie geplant (z.B. einen Zeitstrahl zu visualisieren oder zu clustern), weil das Plugin diese Funktionalitäten nicht unterstützt. Es kam auch immer wieder zu Ungenauigkeiten bei den Koordinaten. Wenn die Quelle z.B. einen vagen Ort beschreibt, dann wusste ich nicht, wie ich das auf der Karte darstellen sollte. Meine Lösung war, mich für zwei Markerkategorien zu entscheiden (auch durchsuchbar): diejenigen, die eine genaue Verortung aufzeigen und diejenigen, die einen vagen Raum repräsentieren. Nichtsdestotrotz gab es auch Wunderzeichen, die weder geografische noch zeitliche Angaben aufwiesen. Diese musste ich dann separat implementieren. Schade ist, dass sie nicht auf der Karte dargestellt werden konnten. Aus dieser Ungenauigkeit resultiert, dass es schwieriger wird, diese Quelle qualitativ zu interpretieren, d.h. man kann kaum Schlüsse ziehen, was die geografische Verortung in diesem Fall über die Quelle aussagt.
Christine: Wie bist du überhaupt zum Thema „Geoinformationssysteme“ gekommen? Was ist denn für Dich das Spezifische an der Kombination GIS und geschichtswissenschaftliche Fragestellung?
Valerija: Im Seminar haben wir verschiedene GIS-Projekte angeschaut und einige von diesen haben mich inspiriert. Zum Beispiel das Witches-Projekt der Schottischen Universität Edinburgh. Das ist nicht nur ein Mehrwert für die Forschung, sondern auch für die Öffentlichkeit, die sich so mit Geschichte auseinandersetzen kann.
Christine: Das Historische Seminar bietet zunehmend mehr Lehrangebot im Bereich „Digital History“ und „Digitale Methoden und Tools“, was sehr erfreulich ist. Wie wichtig sind diese Inhalte für Euch Studierende?
Valerija: Ich halte sie für sehr wichtig, Digital Literacy im Allgemeinen sollte unbedingt ihren Platz in unserer universitären Ausbildung und im Curriculum finden. Als Historiker:innen arbeiten wir bereits (manchmal unbewusst) mit digitalen Methoden, wie z. B. mit Transkriptionstools, Literaturverwaltung oder ChatGPT. Das heisst aber nicht, dass wir diesen Umgang nicht kritisch hinterfragen sollen. Wir benötigen Kompetenzen für den richtig Umgang damit und sollten verschiedene methodische Herangehensweisen und nützliche Tools kennenlernen. Das historische Arbeiten wird dadurch nicht ersetzen werden; die kritische Methode, die Quellenkritik und die präzise Arbeit bleiben bestehen.
Christine: Das sehe ich genauso; ich beschreibe es gern als ein komplementäres Prinzip: Die „digital skills“ sollen das bisher Erlernte, des Handwerkszeug der Historiker:innen nicht ersetzen, sondern es komplettieren. Durch digitale Methoden und Tools kann sich unsere Arbeit verändern, ja auch verbessern (durch Effizienz-Steigerung, Einsparen von Zeit etc.). Durch die digitalen Methoden können auch neue wissenschaftliche Fragestellungen (gerade im Bereich grosser Datenmengen) überhaupt erst entstehen. Du bist dafür, diese Kompetenzen in das Curriculum zu integrieren. Was denkst du, wo im Studium macht es am meisten Sinn?
Valerija: Ich glaube, dass eine erste Auseinandersetzung damit im Basisstudium angesiedelt sein sollte, also im ersten Jahr, vielleicht im zweiten Semester. Daran anschliessend sollten die Inhalte immer wieder aufkommen und ins Studium integriert werden (wie z.B. methodische Zugänge, verschiedene Tools, aber auch Literaturrecherche unter digitalen Aspekten oder Literaturverwaltungsprogramme etc.). Mir ist zudem wichtig, dass wir den kritischen Umgang damit erlernen.
Christine: Damit man später auch darauf aufbauen kann?
Valerija: Genau, damit man auch für die eigenen Seminararbeiten und auch später nach dem Studium einen Nutzen daraus haben kann.
Christine: Du hast gerade Deine Bachelor-Arbeit eingereicht. Willst du zum Abschluss dieses Interviews einen kleinen Teaser geben?
Valerija: Es handelt sich wieder um ein digitalhistorisches Projekt, in welchem Hexenprozesse mit Todesurteil im Zürcher Herrschaftsgebiet visualisiert werden. Ich habe interaktive GIS-Karten mit ArcGIS Online erstellt und meine erhobenen Daten in Wikidata eingepflegt. Das Projekt möchte die Zürcher Hexenforschung ergänzen, einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten und gleichzeitig auch als Datengrundlage für etwaige andere Hexenprojekte dienen. Im neuen Jahr werde ich auch noch eine eigene Webseite in Form einer Storymap dazu veröffentlichen.
Christine: Das klingt auf jeden Fall sehr ambitioniert und vielversprechend. Ich bin dankbar, dass ich dieses Projekt begleiten durfte, und ich freue mich sehr auf Deine Webseite. Liebe Valerija, ich danke Dir ganz herzlich für dieses informative und aufschlussreiche Interview!
Interview vom 9. Dezember 2024