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The DHL Blog features persons, projects in research and teaching and innovative ideas of the Insitute of History displayed in interviews.

Prosopographie in Forschung und Lehre - auch digital (Nikolas Hächler)

Geografische Verteilung des Wirkkreises senatorischer Amtsträger unter den Tetrarchen

Christine: Stelle dich bitte kurz vor. Wer bist du, welche Position hast du am Historischen Seminar inne und wo liegt Dein Fokus in Forschung und Lehre?

Nikolas: Mein Name ist Nikolas Hächler und ich bin aktuell am Historischen Seminar im ERC-Projekt «The Just City» tätig. In diesem Projekt geht es darum zu untersuchen, welche Vorstellungen Cicero von «Gerechtigkeit» hatte und wie diese Vorstellungen rezipiert worden sind. Mehrere Personen  sind am Projekt beteiligt. Meine Aufgabe besteht darin zu analysieren, wie christliche Kirchenväter die Schriften Ciceros gelesen und seine Gerechtigkeitsvorstellungen verstanden und neu interpretiert haben.

Ich habe hier in Zürich von 2007 bis 2012 Allgemeine Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften studiert. Danach habe ich zwischen 2013 und 2017 unter der Leitung von Anne Kolb meine Dissertation zur Zusammensetzung, Funktion und Bedeutung des römischen Senatorenstandes verfasst. Ich war Assistent am Historischen Seminar bei Beat Näf und hatte dann die Möglichkeit, an verschiedenen Universitäten im Ausland zu meinem Habilitationsprojekt zu forschen. Dabei ging es um die Herrschaft des oströmischen Kaisers Herakleios in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. In diesem Projekt habe ich mich auf Resilienz und Vulnerabilität des spätrömischen Staatswesens konzentriert. Ich habe mich gefragt, wie man Resilienzressourcen generieren kann und was die Vulnerabilität eines Staatswesens ausmacht. Meine Habilitation erfolgte dann im letzten November.

Christine: Sehr schön, vielen Dank. Du bist auch in der Lehre tätig. Willst du uns verraten, was Du lehrst?

Nikolas: Ja, sicher. Ich lehre sehr gerne – damit bin ich unter den Dozierenden am HS aber nicht allein (lacht). Für mich ist wichtig, dass Forschung und Lehre miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Das bedeutet für mich, dass ich an einem Forschungsthema arbeite, beispielsweise an Gerechtigkeitsvorstellungen in der Geschichte und dann in der Lehre entsprechende Thematiken mit Studierenden angehe. Ich möchte Lehre gerne so verstehen, dass sich Studierende selbst an die Thematiken heranwagen, dann selbstständig arbeiten und zu forschen beginnen. Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit Methoden des forschenden Lernens; d.h. man sagt, wir haben jetzt ein Thema, jetzt versuchen wir selbstständig und gleichzeitig unter Anleitung im Rahmen gemeinsamer Diskussionen, eine Fragestellung zu entwickeln, ein Quellenkorpus systematisch zu erschliessen, die Forschungslandschaft zu erkunden und dann nach und nach eine wissenschaftliche Arbeit daraus zu entwickeln. Ich finde, das macht Spass. Ich habe auch gute Rückmeldungen dazu erhalten. Das ist für mich wichtig.

Christine: Ich glaube auch, dass Studierende davon vielseitig profitieren können, für alles, was im späteren Studium kommt. Das Digital History Lab versucht im Rahmen der Lehrveranstaltungen auch den Ansatz zu verfolgen, dass man sich an kleinen «echten» Studierendenprojekten selbst etwas erarbeiten kann – in Kombination mit digitalen Tools und Hilfsmitteln. Ich weiss, dass auch du digitale Methoden und Tools in der Lehre anwendest: Kannst Du uns ein Beispiel geben? Was macht ihr inhaltlich, aber vielleicht auch technisch, welche technischen Forschungsumgebungen nutzt ihr dazu?

Nikolas: Mit digitalen Methoden zu arbeiten war anfänglich kein gezielter Plan von mir. Es waren mehrere Faktoren, die im Laufe der Zeit zusammengekommen sind. Im Masterstudium habe ich ein Seminar zu Dalmatien in der Antike besucht. Einer meiner Kommilitonen war Jonas Schneider. Er hat zu diesem Zeitpunkt Geografie und Geschichte studiert und seine Masterarbeit verfasst. Da ging es darum, geografische Netzwerke abzubilden. Ich habe das sehr spannend gefunden und viel mit ihm darüber gesprochen. Irgendwann hat sich Jonas dazu entschlossen, ein Startup zu gründen: Kleiolab. Kleiolab entwickelte zusammen mit der Universität Bern und LARHRA die virtuelle open-source Forschungsumgebung Geovistory für historische Daten. Zu der damaligen Zeit suchte Jonas Historiker:innen, die mit ihm zusammenarbeiteten. Und ich habe gedacht, ja, das ist eine Riesenchance, zumal ich zu diesem Zeitpunkt an einer Recherche zu einem prosopografischen Projekt im Rahmen meines Dissertationsvorhabens gearbeitet habe. Es ging darum, die Geschichte des Senatorenstandes im dritten Jahrhundert zu rekonstruieren. Ich habe mich also gefragt: Kann man den Lebenslauf von Senatoren mit Hilfe dieser Plattform abbilden. Wir haben erste Tests gemacht und es hat in vielen Fällen funktioniert. Diese Version des Tools gibt es bereits nicht mehr. Und irgendwann ist die Zusammenarbeit auch etwas zur Ruhe gekommen.

Ich selbst habe dann weitergearbeitet, habe meine Dissertation abgeschlossen, hatte dann die Möglichkeit, mir einen weiteren Zeitbereich anzuschauen, nämlich die Zeit der Tetrarchen um 300 und habe dazu erneut dieselbe prosopografische Methode angewandt. Ich habe einen Beitrag dazu geschrieben und mich dann gefragt, ob man da auch eine Datenbank dazu generieren könnte. In der Zwischenzeit hatte Kleiolab sich weiterentwickelt und die Plattform Geovistory veröffentlicht. Da habe ich gedacht, «okay, versuchen wir das». Und es hat funktioniert. Die neue Zusammenarbeit hat in der Publikation einer Website resultiert, auf welcher prosopografische Daten senatorischer Amtsträger unter den Tetrarchen verzeichnet sind.

Mein neues Projekt «Bearers of Knowledge – Networks of Education» basiert auf weiteren Faktoren, die ungeplanterweise zusammenkamen. Ich habe an der 42. Metageitnia-Tagung in Basel Sonsoles Costero-Quiroga (Madrid) kennengelernt, die sich für Philosophie und philosophische Netzwerke interessiert. In ihrer Forschung spielen Netzwerke neuplatonischer Philosophinnen und Philosophen eine wichtige Rolle. Wir sind ins Gespräch gekommen und wollten gerne etwas zusammen in den Bereichen «Netzwerke» und «Philosophie» machen. Wir sind auf das Fördergefäss «global_innovation» der Universitären Lehrförderung (ULF) der UZH aufmerksam geworden. Diese fördert im Rahmen der europäischen Hochschulallianz «Una Europa» interdisziplinäre und internationale Kooperationen. Und wie es der Zufall so wollte, waren Zürich und Madrid zwei Universitäten, die förderungswürdig waren. Wir haben uns überlegt, wie man ein Projekt angehen könnte, das unsere Interessen aus der Forschung fasst und gleichzeitig auch die Lehre abdeckt, einen Antrag ausgearbeitet und diesen eingereicht. Unser Vorhaben wurde dann glücklicherweise akzeptiert.

Christine: Sehr schön, Gratulation zu dem erfolgreichen Antrag. Ich würde gerne nochmal einen kleinen Schritt zurückgehen: Vielleicht kannst du noch ein paar Worte zu Geovistory sagen, was das für eine Art von Datenbank ist, wie man dort Daten erfassen kann. Wie war es für dich mit diesem digitalen Hilfsmittel zu arbeiten?

Nikolas: Ich finde die Umgebung vielseitig und sehr intuitiv. Wenn ich Fragen habe, kann ich diese jederzeit stellen, denn die Betreibenden sind sehr offen, hilfreich und gut ansprechbar. Als Historiker arbeite ich an einem Quellenkorpus, das ich zur Beantwortung einer spezifischen Fragestellung analysiere. Wenn ich mit Geovistory arbeite, dann gibt es ein bestimmtes Format, das vorgibt, welche Informationen aufgenommen werden können und welche nicht. Die Herausforderung besteht für mich nun darin, das, was ich aus den Quellen mit Blick auf die Beantwortung einer Fragestellung gelesen habe, in diese Datenbank einzuspeisen, so dass sowohl ich selbst als auch andere mit diesen Daten weiterarbeiten können. Von der Arbeitsumgebung her ist es so, dass Geovistory als Graphdatenbank mit Entitäten arbeitet. Entitäten können verschiedene Einheiten wie z.B. Daten, Orte oder Personen sein. Man definiert alle diese Entitäten selbst, was ich sehr schätze. Zudem ist es möglich, Verbindungen zwischen Entitäten herzustellen: Die Entität «Person A» kann mit der Entität «Ort B» verknüpft werden. Diesen Ort B kann man dann auf einer Karte darstellen, ihn geovisualisieren, georeferenzieren. Und, man kann bestimmen, für wie lange dieses Verhältnis zwischen Person und Ort gegeben ist. Das ist genial, denn das erlaubt uns, geschichtliche Zusammenhänge, also Netzwerke, abzubilden, die sich auch im Laufe der Zeit verändern können.

Eintrag zu Acilius Clarus (Backend)

Christine: Und das Tolle ist, dass man diese Netzwerke konkret sichtbar machen, sie also wirklich visualisieren und auch präsentieren kann – zum Beispiel in einem Online-Auftritt.

Nikolas: Was auch sehr, sehr wertvoll ist, ist, dass Geovistory das Einspeisen von Quellentexten im Allgemeinen erlaubt. Man kann Texte in die Datenbank einfügen und auszeichnen, d.h. mit einzelnen Entitäten in Verbindung bringen. Das macht das Ganze nachvollziehbar und überprüfbar. Ich finde, das ist vom Standpunkt der Wissenschaftlichkeit besonders wichtig.

Christine: Du hast vorhin gesagt, die Arbeit mit dieser Daten-Plattform sei nicht nur für das Projekt selbst sinnvoll, an dem man arbeitet, sondern auch für andere Forschende. Und ich glaube, da sprechen wir ein ganz prominentes und aktuelles Thema in der Digital History an, die sogenannten Linked Open Data (LOD, im Netz unter freier Lizenz verfügbare Daten, die über Uniform Resource Identifiers identifiziert sind und so abgerufen werden können und ebenfalls via URI mit anderen Daten verlinkt sind). Vielleicht kannst du noch ein paar Worte dazu sagen, inwiefern LOD für dich und für dein Projekt relevant sind und wo andere Forschende an deinen Daten ansetzen könnten?

Nikolas: Wenn ich Daten in Geovistory eingebe, dann ist es so, dass dieses Datenpaket für das eigene Projekt eingesetzt werden kann. Ich kann zum Beispiel Informationen zu einem christlichen Intellektuellen in Geovistory einspeisen. Es liegt dann dieses Datenpaket vor, von dem klar ist, das hat Nikolas Hächler erstellt. Gleichzeitig ist es so, dass das Datenpaket für andere Forschende/Nutzende von Geovistory ebenfalls zugänglich ist. Ich kann beispielsweise zu Laktanz einen Eintrag erstellen, auf den andere Personen dann ebenfalls Zugriff haben. Sie können also einsehen, was dasteht, wie z.B. Lebensdaten, wo die Person lebte, welche Schriften sie verfasste, etc. Andere Nutzende können auch Änderungen an einzelnen Einträgen vornehmen, was registriert wird. Aus meiner Sicht ist das hervorragend, weil man einmal eingegebenen Daten in einem wissenschaftlichen Diskurs weiternutzt und weiterentwickelt. So können sie dann auch Bestandteile neuer Projekte sein.

Christine: Ich glaube, das ist ein Ansatz, der erst durch den Einsatz entsprechender digitaler Methoden so niederschwellig möglich ist. Natürlich gab es vorher auch schon Communities, Lesegemeinschaften, Forschungsgemeinschaften etc. Aber jetzt ist das Ganze einfach öffentlich zugänglich für jeden, zu jeder Zeit. Ist dein Projekt schon veröffentlicht?

Nikolas: Es ist veröffentlicht. Es gibt ein Frontend. Man kann verschiedene Senatoren, die unter den Tetrarchen aktiv waren, einsehen mit den verschiedenen Einträgen. Soweit ich weiss, ist eine Visualisierung, beispielsweise die Aufenthaltsorte der Senatoren unter den Tetrarchen, im Moment im Frontend-Bereich noch nicht möglich, das Backend funktioniert aber diesbezüglich bereits. D.h., wenn ich Daten eingebe, kann ich sie selbst visualisieren. Ich weiss, dass die Betreibenden von Geovistory an derartigen Optionen weiterarbeiten, weil sie sehen, dass das etwas von grossem Interesse für die wissenschaftliche Gemeinschaft ist.

Anzahl bekannter senatorischer Amtsträger unter den Tetrarchen

Christine: Kommen wir doch noch einmal zu deinem ULF-Projekt mit der Kooperation in Madrid. Was genau macht ihr inhaltlich und methodisch? Das ist ja kein Forschungsprojekt, sondern ein Lehrprojekt, oder?

Nikolas: Inhaltlich geht es in diesem Projekt darum, dass wir Wissensnetzwerke, bzw. Netzwerke spätantiker Intellektueller rekonstruieren. Das bedeutet, wir untersuchen verschiedene Philosophenschulen bis ins 7. Jahrhundert, um zu schauen, welche Personen beteiligt sind und wie Wissen vermittelt wird. Und wenn Intellektuelle an bestimmten Orten sind, wie beeinflussen sie beispielsweise Entscheidungsträger aus der Politik und wie beeinflusst politisches Entscheiden auch das Handeln, das Wirken Intellektueller. Es gibt diese Verflechtungen und wir denken, dass wir zeigen können, dass der gesamte Mittelmeerraum im Prinzip auf vielfältige Weise gerade über entsprechende sozio-intellektuelle Netzwerke verflochten war. Es gab dabei verschiedene intellektuelle Zentren, zum Beispiel in Rom, Alexandria, Antiochia oder Athen.

In unserer Kooperation möchten wir Studierende aus Zürich und Madrid zusammenbringen. Das bedeutet, wir schauen intellektuelle Netzwerke der Vergangenheit innerhalb studentischer Netzwerke der Gegenwart an. Daran arbeiten wir gerade. Wir haben zunächst eine historische Einführung gegeben, um damit alle Teilnehmenden auf einen ähnlichen Wissensstand zu heben. Dann bringen wir beide Gruppen nach und nach miteinander in Kontakt.

Unsere Methode ist prosopografisch: Wir schauen, welche Personen es gab und welche Informationen wir zu diesen haben. Wir sammeln diese Informationen, geben diese Daten mit den Studierenden zusammen in Geovistory ein und vernetzen unsere Datensätze. Und je nachdem, was Studierende interessiert, kann man unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wir untersuchen einerseits, was eine Gruppe von Intellektuellen im Besonderen auszeichnet. Wir können aber auch tiefer in die Philosophie eintauchen und philosophische Schriften im Detail analysieren: Was wird geschrieben und wie prägen bestimmte Leitfiguren bestimmte Vorstellungen über die Jahrhunderte hinweg.

Christine: Sehr spannend. Und da die Daten in Geovistory verfügbar sind, können die Studierenden nach Belieben auch mit Hilfe der Plattform weiterarbeiten und die vorhandenen Daten nutzen: neue Projektideen sammeln für z.B. eine Seminararbeit oder die Bachelorarbeit. Man kann auch gemeinsam erarbeiten, wie man daraus eine Fragestellung entwickelt. Das ist eben der Vorteil von Linked Open Data und diesem Ansatz.

Ist das kooperative Seminar ein Bachelor-Seminar, ein Kolloquium oder auf Master-Ebene?

Nikolas: Das ist ein Bachelor-Seminar; die Idee ist, dass man diesen Austausch auch zwischen verschiedenen akademischen Welten hat. Vom 28.-30. April hatten wir zudem die Gelegenheit, Studierende aus Madrid in Zürich willkommen zu heissen und einen kleinen Workshop zu organisieren.

Christine: Sehr schön. Vielleicht noch eine Frage zum Leistungsnachweis. Das wird ganz klassisch eine BA-Seminararbeit sein, oder? Inwiefern werden auch digitale Methoden Eingang finden? Habt ihr da schon etwas überlegt?

Nikolas: Wir möchten, dass im Laufe dieses Frühlingssemesters Einträge in Geovistory erstellt werden. Wir werden das gemeinsam üben und es wird Vorträge dazu geben: Wie ist man vorgegangen? Was waren Schwierigkeiten? Wie möchte man mit diesen Daten weiterarbeiten? Die Einträge in Geovistory stellen dann eine mögliche Grundlage für die Seminararbeiten dar. Was dann konkret als Seminararbeit gemacht wird, wird individuell abgesprochen. Die BA-Seminararbeit wird nach den Vorgaben des Historischen Seminars wissenschaftliche Fragestellungen aufweisen, die auf Grundlage der erarbeiteten Daten und einer kritischen Quellenlektüre beantwortet werden.

Christine: Und trotzdem wird bestimmt ein interaktiver Austausch stattfinden durch Gruppen und Partner-Arbeitsformen. Das heisst, die Studierenden sind auch in der Community und können sich austauschen?

Nikolas: Wir hoffen, dass unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Zürich und Madrid neue Netzwerke entstehen, die vielleicht auch von längerem Bestand sind. Wir möchten aber auch, dass die Teilnehmenden methodische Werkzeuge kennenlernen und dann im Idealfall eigene Projekte lancieren. Es wäre genial, wenn man jetzt einen Samen setzen könnte, aus dem heraus sich eventuell weitere Projekte zu Wissensnetzwerken in der Geschichte entwickeln würden – vielleicht sogar mit Hilfe von Geovistory.

Christine: Hast du bisher schon Erfahrungen mit Geovistory in der Lehre gemacht?

Nikolas: Ja, vor allem zur Visualisierung historischer Zusammenhänge. Wenn ich zum Beispiel über die sogenannte Krise des dritten Jahrhunderts eine Lehrveranstaltung durchführte, dann hat mir Geovistory genützt, um über digitale Karten rasch abzubilden, wie sich bestimmte Personengruppen, darunter insbesondere Senatoren, im Reich bewegten.

Christine: Hast du auch andere Tools, andere Umgebungen ausprobiert?

Nikolas: Ja, habe ich, zum Beispiel das Tool OpenAtlas,ORA oderQuantumGIS für Geo-Visualisierungen genutzt. Bei diesen Tools habe ich gemerkt, dass man in einigen Fällen grössere Freiheiten hat, man kann z.B. Karten selbst auswählen, man kann die Geo-Visualisierung selbst im Detail erstellen, so wie es passt. Es ist aber auch arbeitsintensiver, weil man wissen muss, wie die Software funktioniert, wo man gute Karten findet, etc. Die relationale Datenbank Nodegoat würde ich gerne mal noch ausprobieren.

Christine: Gut, dann kommen wir schon zur letzten Frage. Wir haben in diesem Interview viel über digitale Hilfsmittel, Tools oder Forschungsumgebungen gesprochen. Hier am Historischen Seminar sind wir auf einem guten Weg, dass wir den Studierenden auch früh im Studium gewisse Grundkompetenzen und Digital Skills mit auf den Weg geben – im Sinne der «Digital Literacy». Lieber Nikolas, gibt es etwas, das du den Studierenden ganz im Allgemeinen mit auf ihren Weg geben möchtest? Und, vielleicht auch im Speziellen unter dem Aspekt der Digital History?

Nikolas: Ganz allgemein würde ich allen wünschen, dass sie das studieren, was sie interessiert, also wofür ihr Herz schlägt. Mit Blick auf Digital History im Besonderen gibt es unter den Studierenden bereits Spezialistinnen und Spezialisten, die ganz genau wissen, das ist mein Weg, das möchte ich machen. Sie haben vielleicht Geschichte im Hauptfach und dann ein Nebenfach, das ihnen hilft, zu programmieren, auch um an neuen Entwicklungen – gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz – beteiligt zu sein. Diese Studierenden sind schon auf ihrem Pfad, die brauchen meine Ratschläge nicht unbedingt (lacht). Was mir allerdings rückblickend nützlich scheint, ist, stets offen zu bleiben, mit anderen Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, zu schauen, was gerade aktuell läuft. Wenn eine Idee überzeugend ist, daran zu bleiben und zu prüfen, ob man daraus etwas weiterentwickeln kann. Manchmal ist es so, dass man Zeit investiert, aber es kommt vielleicht nicht unmittelbar etwas dabei heraus. Das macht aus meiner Sicht aber nichts. Es kann nämlich sein, dass sich Situationen ändern, und dann geht man zurück und sagt «ah ok, ich habe da was, das ist interessant, das ist nützlich» und dann entwickelt man das weiter. Ich denke, diese Offenheit, diese Flexibilität und dieses allgemeine Interesse, eine Fragestellung unter verschiedenen Perspektiven anzuschauen und mit unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen sowie Werkzeugen anzugehen, auch mit Hilfe von Kooperationen, das ist, glaube ich, das Entscheidende.

Christine: Das ist ein perfektes Schlusswort für dieses vielseitige Interview. Ich danke Dir ganz herzlich für diese spannenden Einblicke in Forschung und Lehre – und für Deine Offenheit, lieber Nikolas. Viel Freude und Erfolg mit dem Lehrprojekt!

Interview vom 25. März 2025

 

Mapping des Augsburger Wunderzeichenbuchs (Valerija Vlasic)

Christine: Stelle dich bitte kurz vor. Wer bist du, was machst du und was sind deine Interessen?

Valerija: Ich bin Valerija Vlasic, ich studiere an der Uni Zürich im Hauptfach Geschichte und im Nebenfach Populäre Kulturen. Ich habe gerade meine Bachelorarbeit eingereicht, nächstes Semester bin ich dann im Master. Geschichte hat mich schon immer interessiert, aber ich bin erst auf den zweiten Bildungsweg hier angelangt.  Besonders die Kombination von Präzision und Kreativität, die bei der historischen Forschung immens wichtig ist, gefällt mir sehr und ich hoffe, dass ich auch nach meinem abgeschlossenen Studium in diesem Bereich arbeiten kann.

Christine: Das hört sich spannend an. Welches Projekt möchtest du uns heute vorstellen?

Valerija: Ich stelle heute mein Mapping-Projekt vor. Es handelt sich um ein Projekt, das das Augsburger Wunderzeichenbuch mappt. Die Idee entstand im Rahmen meiner Seminararbeit für das BA-Seminar „Digital History – neue Methoden für die Geschichtswissenschaft“, das ich bei Dir, Christine, belegt habe. Im Zentrum dieser Untersuchung steht das Augsburger Wunderzeichenbuch, eine neuzeitliche Quelle aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine Sammlung, die verschiedene aussergewöhnliche Phänomene dokumentiert, wie z.B. Naturkatastrophen, Kometen, Heuschreckenplagen, Wundergeburten etc.  Das zentrale Produkt meines Projektes ist eine selbst erarbeitete Webseite mit einer interaktiven GIS-Karte (GIS = Geoinformationssysteme), auf der die verschiedenen geografischen Standorte der Wunderzeichen visualisiert werden.  Diese Punkte aus der Karte lassen sich dann auch nach verschiedenen Kategorien filtern. Zusätzlich bietet die Webseite noch detaillierte Informationen über die Quellen, Wunderzeichen im Allgemeinen, aber auch über den Einsatz der digitalen Methoden in der Geschichtswissenschaft, mit einem Fokus auf Geoinformationssystemen.

Christine: Wie bist du auf das Wunderzeichenbuch aufmerksam geworden?

Valerija: Das war eigentlich ganz spontan. Ich bin über das Wikipedia-Surfen auf diese Quelle gestossen und sie erschien mir perfekt für ein GIS-Projekt. Es gibt genügend, aber nicht zu viele Daten und die Quelle enthält fast immer einen Ort und ein Datum zu jedem Wunderzeichen, ersichtlich auf den prachtvollen Illustrationen.

Christine: Wie dürfen wir uns das Wunderzeichenbuch eigentlich vorstellen?  

Valerija: Ich habe leider nur die Faksimile-Ausgabe gesehen. Sie ist von Kunsthistorikern publiziert worden.  Die Originalquelle ist in Privatbesitz. Auf den Blättern, also den Folia des Manuskriptes finden sich jeweils eine sehr eindrückliche Darstellung des Wunderzeichens und eine kurze Beschreibung mit Ort, Verortung, zeitlicher Datierung und einem kurzen Beschrieb des Phänomens.

Christine: Hast du auf deiner Webseite diese Illustrationen auch umsetzen können?

Valerija: Glücklicherweise konnte ich sie verwenden. Am Anfang des Projektes stand das noch etwas infrage, da natürlich die Frage des Copyrights im Raum stand. Aber ich habe mich dann mit dem Verlag, mit den Kunsthistorikern und auch mit dem Kurator der Handschrift in Verbindung gesetzt. Sie waren alle sehr angetan von dem Projekt und gaben mir auch die Erlaubnis, die Bilder für die Webseite zu verwenden. Ich stehe auch jetzt noch in Kontakt mit ihnen.

Christine: Wie ist es denn überhaupt dazu gekommen, dass du dieses Projekt letztendlich auch realisieren hast können? Oft ist es von einer ersten Idee bis zu einem digitalen Produkt ein langer und beschwerlicher Weg, oder?

Valerija: Exakt, am Anfang hatte ich etwas Sorge, da es ein ambitioniertes Projekt ist und ich eben noch nicht so viel Erfahrung im Bereich des Webdesigns und auch in der Kartierung hatte. Aber ich dachte, das ist eine gute Möglichkeit, mir diese Fähigkeiten – zumindest die Basics – anzueignen.  Nun denke ich, dass es sich gelohnt hat. Ich habe neue Skills erworben und konnte diese jetzt auch für meine Bachelorarbeit nutzen.

Christine: Das ist sehr erfreulich! Von welchen Seiten hast du denn Unterstützung gebraucht?

Valerija: Glücklicherweise hatte ich von verschiedenen Seiten Hilfe, eben von Dir, Christine, und natürlich auch von der DLF (Digitale Lehre und Forschung der UZH). Sie hatten mich schon von Anfang an unterstützt und meine Ideen gut geheissen. Sie haben mir die WordPress-Seite vorbereitet sowie das Plugin der GIS-Karte. Zudem gab es immer wieder gute Zusammenarbeit mit den genannten Autoren des Wunderzeichenbuchs und auch mit den Kommilitonen und Kommilitoninnen.

Christine: Lass uns bitte noch über den Prozess und Deine methodische Herangehensweise sprechen. Wie hast du Deine Daten eigentlich aufgebaut?

Valerija: Zuerst habe ich das Modell einer Datenbank aufgebaut, in der ich die einzelnen Wunderzeichen und ihre Elemente auf eine einfache Excel-Datei reduziert habe. Dann habe ich die jeweilige geografische Verortung recherchiert. Die geografischen Koordinaten nennt man Latitude und Longitude, sie lassen sich mithilfe von Google oder auch anderen Datenbanken gut im Internet finden. Nachdem ich die Daten gegengecheckt hatte, konnte ich sie in meine Tabelle übernehmen und in mein eigentliches Tool importieren. Dieses war WP Google Maps, ein Plugin für Wordpress, das mir die DLF dankenswerterweise vorbereitet hatte. Nach der Implementierung ergaben diese Koordinationen dann visualisierte Punkte auf der Karte. Diese habe ich dann so angepasst, dass zum Beispiel der Setview, also die Anfangsposition der Karte, über Europa lag, und nicht hineingezoomt über Deutschland oder der Schweiz dargestellt wurde. Anschliessend wurden verschiedene Änderungen vorgenommen wie z.B.  Kategorisierungen, einerseits zwischen diesen zwei Marker-Kategorien mit der geografischen Verortung, andererseits über die Wunderzeichentypen, die man nach beispielsweise Schlagwörtern wie „Wundergeburten“, „Himmelszeichen“, „Blut“ etc. oder auch nach der zeitlichen Einordnung filtern kann.

Christine: Gab es denn auch Schwierigkeiten, Probleme, Herausforderungen? Und wie bist du damit umgegangen und konntest du sie lösen?

Valerija: Ja, zunächst stand die Frage des Urheberrechts der Illustrationen im Raum. Hätte ich die Abbildungen nicht für die Webseite verwenden dürfen, hätte das gesamte Projekt sehr viel verloren. Ich bin dankbar, dass die Autoren und der Verlag so kooperativ waren. Zudem gab es einzelne Probleme mit den Funktionen der GIS-Karte; ich konnte nicht alles so umsetzten wie geplant (z.B. einen Zeitstrahl zu visualisieren oder zu clustern), weil das Plugin diese Funktionalitäten nicht unterstützt. Es kam auch immer wieder zu Ungenauigkeiten bei den Koordinaten. Wenn die Quelle z.B. einen vagen Ort beschreibt, dann wusste ich nicht, wie ich das auf der Karte darstellen sollte. Meine Lösung war, mich für zwei Markerkategorien zu entscheiden (auch durchsuchbar): diejenigen, die eine genaue Verortung aufzeigen und diejenigen, die einen vagen Raum repräsentieren. Nichtsdestotrotz gab es auch Wunderzeichen, die weder geografische noch zeitliche Angaben aufwiesen. Diese musste ich dann separat implementieren. Schade ist, dass sie nicht auf der Karte dargestellt werden konnten. Aus dieser Ungenauigkeit resultiert, dass es schwieriger wird, diese Quelle qualitativ zu interpretieren, d.h. man kann kaum Schlüsse ziehen, was die geografische Verortung in diesem Fall über die Quelle aussagt.

Christine: Wie bist du überhaupt zum Thema „Geoinformationssysteme“ gekommen? Was ist denn für Dich das Spezifische an der Kombination GIS und geschichtswissenschaftliche Fragestellung?

Valerija: Im Seminar haben wir verschiedene GIS-Projekte angeschaut und einige von diesen haben mich inspiriert. Zum Beispiel das Witches-Projekt der Schottischen Universität Edinburgh.  Das ist nicht nur ein Mehrwert für die Forschung, sondern auch für die Öffentlichkeit, die sich so mit Geschichte auseinandersetzen kann.

Christine: Das Historische Seminar bietet zunehmend mehr Lehrangebot im Bereich „Digital History“ und „Digitale Methoden und Tools“, was sehr erfreulich ist. Wie wichtig sind diese Inhalte für Euch Studierende?

Valerija: Ich halte sie für sehr wichtig, Digital Literacy im Allgemeinen sollte unbedingt ihren Platz in unserer universitären Ausbildung und im Curriculum finden. Als Historiker:innen arbeiten wir bereits (manchmal unbewusst) mit digitalen Methoden, wie z. B. mit Transkriptionstools, Literaturverwaltung oder ChatGPT.  Das heisst aber nicht, dass wir diesen Umgang nicht kritisch hinterfragen sollen. Wir benötigen Kompetenzen für den richtig Umgang damit und sollten verschiedene methodische Herangehensweisen und nützliche Tools kennenlernen.  Das historische Arbeiten wird dadurch nicht ersetzen werden; die kritische Methode, die Quellenkritik und die präzise Arbeit bleiben bestehen.

Christine: Das sehe ich genauso; ich beschreibe es gern als ein komplementäres Prinzip: Die „digital skills“ sollen das bisher Erlernte, des Handwerkszeug der Historiker:innen nicht ersetzen, sondern es komplettieren. Durch digitale Methoden und Tools kann sich unsere Arbeit verändern, ja auch verbessern (durch Effizienz-Steigerung, Einsparen von Zeit etc.). Durch die digitalen Methoden können auch neue wissenschaftliche Fragestellungen (gerade im Bereich grosser Datenmengen) überhaupt erst entstehen. Du bist dafür, diese Kompetenzen in das Curriculum zu integrieren. Was denkst du, wo im Studium macht es am meisten Sinn?

Valerija: Ich glaube, dass eine erste Auseinandersetzung damit im Basisstudium angesiedelt sein sollte, also im ersten Jahr, vielleicht im zweiten Semester. Daran anschliessend sollten die Inhalte immer wieder aufkommen und ins Studium integriert werden (wie z.B. methodische Zugänge, verschiedene Tools, aber auch Literaturrecherche unter digitalen Aspekten oder Literaturverwaltungsprogramme etc.). Mir ist zudem wichtig, dass wir den kritischen Umgang damit erlernen.

Christine: Damit man später auch darauf aufbauen kann?

Valerija: Genau, damit man auch für die eigenen Seminararbeiten und auch später nach dem Studium einen Nutzen daraus haben kann.

Christine: Du hast gerade Deine Bachelor-Arbeit eingereicht. Willst du zum Abschluss dieses Interviews einen kleinen Teaser geben?

Valerija: Es handelt sich wieder um ein digitalhistorisches Projekt, in welchem Hexenprozesse mit Todesurteil im Zürcher Herrschaftsgebiet visualisiert werden. Ich habe interaktive GIS-Karten mit ArcGIS Online erstellt und meine erhobenen Daten in Wikidata eingepflegt. Das Projekt möchte die Zürcher Hexenforschung ergänzen, einen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten und gleichzeitig auch als Datengrundlage für etwaige andere Hexenprojekte dienen. Im neuen Jahr werde ich auch noch eine eigene Webseite in Form einer Storymap dazu veröffentlichen.

Christine: Das klingt auf jeden Fall sehr ambitioniert und vielversprechend. Ich bin dankbar, dass ich dieses Projekt begleiten durfte, und ich freue mich sehr auf Deine Webseite. Liebe Valerija, ich danke Dir ganz herzlich für dieses informative und aufschlussreiche Interview!

Interview vom 9. Dezember 2024