Lehrveranstaltungen

Seminar FS 2012

Kämpfe um Anerkennung: Auf den Spuren der Entstehung der direkten Demokratie in der Schweiz

Populäre Deutungsmuster sowie teilweise die ältere Geschichtsschreibung zur Entstehung der halbdirekten Demokratie in der Schweiz sind von zwei Meistererzählungen geprägt: Einerseits wird eine Kontinuitätslinie von vorrevolutionären, versammlungsdemokratischen Modellen (Gemeinde, Landsgemeinde) zur modernen Demokratie gezogen, andrerseits wird die Einführung des Gesetzesreferendums in den 1860er und 1870er Jahren auf Kantons- und Bundesebene als konsequente Weiterentwicklung der liberalen Regenerationsverfassungen und als Verdienst der Liberalen dargestellt. Eine Dekonstruktion dieser Metanarrative führt zu einer doppelten Erkenntnis: Erstens war die Transformation älterer versammlungsdemokratischer Modelle erst durch äussere Einflüsse und durch Etablierung eines naturrechtlich definierten Freiheitsbegriffs möglich. Zweitens mussten direktdemokratische Instrumente in den Kantonsverfassungen (Gesetzesveto) gegen den Willen der Liberalen durchgesetzt werden. Träger der Volksbewegungen waren Angehörige der mittleren und unteren Gesellschaftsschichten. Letztere kämpften gleichzeitig für soziale Verbesserungen und für erweiterte politische Partizipationsmöglichkeiten. Es waren immer wieder die materiell Benachteiligten und die von der politischen Partizipation Ausgeschlossenen, die den Demokratisierungsprozess vorantrieben. Die Auseinandersetzungen um die Volksrechte können deshalb als "Kämpfe um Anerkennung" (Honneth) interpretiert werden. Im Seminar soll versucht  werden, diese Kämpfe in verschiedenen Phasen der Demokratieentwicklung (Helvetische Revolution, Regenerationszeit, Demokratische Bewegung) nachzuzeichnen.

Literatur:

Rolf Graber, "Fischweiber", "Prügelmänner" und "Landsgemeinde-Wuth", in: etü, HistorikerInnenzeitschrift, Historisches Seminar, Universität Zürich, Sept. 2011: Demokratie; Rolf Graber, Kämpfe um Anerkennung, Bemerkungen zur neueren Demokratieforschung in der Schweiz, in: Ders. (Hg.), Demokratisierungsprozesse in der Schweiz im späten 18. und 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2008 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle "Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850", Bd. 40), S. 9-20, Andreas Suter, Direkte Demokratie - historische Reflexionen zur aktuellen Debatte, Nachwort, in: Benjamin Adler, Die Entstehung der direkten Demokratie. Das Beispiel der Landsgemeinde Schwyz 1789-1866, Zürich 2006, S. 219-278.

 

Seminar HS 2011

Revolutionäre, Konterrevolutionäre, "Wendehälse". Lebensentwürfe während der Zeit der Französischen Revolution

Das epochale Ereignis der Französischen Revolution bewirkte nicht nur eine Veränderung der kollektiven Mentalitäten, sondern es war auch ein Einschnitt im Leben jedes einzelnen Menschen. Es galt, sich in einer veränderten Welt neu zu orientieren und zu positionieren. Verschiedene Reaktionsweisen waren möglich. Das Spektrum reichte von begeisterter Zustimmung bis zu totaler Ablehnung. Die politische Neupositionierung konnte aber auch von taktischen Überlegungen bestimmt sein, die das Obenbleiben garantierten. Von Bedeutung waren allerdings nicht nur politische Faktoren, sondern auch das in vorrevolutionären Zeiten angehäufte soziale und kulturelle Kapital. Mit den Begriffen Revolutionäre, Konterrevolutionäre, "Wendehälse" wird versucht, diese Reaktionsweisen zu umschreiben. Im Seminar sollen anhand ausgewählter Biographien die Bedingungen für das Obenbleiben analysiert werden. Dabei geht es auch um die Klärung der Frage nach Elitekontinuität und Elitewechsel. Das Seminar ist als Forschungsseminar konzipiert, erste Resultate sollen bereits im Verlauf der Lehrveranstaltung präsentiert werden.

Literatur:

Rolf Graber, Ländliche Eliten und Volksbewegungen während der Helvetischen Revolution. Zum schwierigen Start der "alt-neuen" Eliten 1798-1803, in: Marco Bellabarba, Ellionor Forster, Hans Heiss, Andrea Leonardi und Brigitte Mazohl (Hg.), Eliten im Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz. Akten der internationalen Tagung vom 15. bis 18. Oktober 2008 an der Freien Universität Bozen, Innsbruck, Wien, Bozen 2010, S. 287-300.

 

Seminar FS 2011

Volksaufklärung: Eine "Bürgerinitiative" des 18. Jahrhunderts (Strategien - Medien - Akzeptanz)

Aufklärung wird gemeinhin mit den Meisterdenkern in Verbindung gebracht. Sie blieb allerdings nicht nur auf die Gelehrtenwelt beschränkt. Den Gebildeten war das Prinzip universaler Aufklärung nicht gleichgültig, die Ideen sollten allen Menschen nahegebracht und im Alltag nützlich werden. Deshalb engagierten sich Ärzte, Publizisten, Beamte und Pfarrer beider Konfessionen für eine Popularisierung des Gedankengutes der Aufklärung. Sie setzten sich für Volksbildung, medizinische Verbesserungen sowie für eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ein. Um die breite Bevölkerung für die Ideen und Aktivitäten zu gewinnen, mussten neue Verbreitungsstrategien und -kanäle gesucht werden. Diese "Bürgerinitiative" stiess allerdings bei der Bevölkerung nicht immer auf Akzeptanz, da sie häufig auch mit einer Herrschaftsintensivierung verbunden war. Im Seminar sollen sowohl Strategien und Medien untersucht als auch Gründe für die Widerstände gegen diese Aktivitäten "von oben" diskutiert werden. Dadurch wird Volksaufklärung nicht nur aus der Perspektive der Gebildeten, sondern auch aus derjenigen "von unten" wahrgenommen.

Literatur:

Holger Böning, Hanno Schmidt, Reinhart Siegert (Hg.), Volksaufklärung. Eine praktische Reformbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts (Presse und Geschichte - Neue Beiträge, Bd. 27), Bremen 2007; Anne Conrad, Arno Herzig, Franklin Kopitzsch (Hg.), Das Volk im Visier der Aufklärung. Studien zur Popularisierung der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte, Bd. 1), Hamburg 1998.

 

Seminar HS 2010 (FWV)

Aufklärung: Ein unvollendetes Projekt der Moderne

Der Begriff Aufklärung beschreibt nicht nur einen Wahrnehmungswandel, der sich im 17. und 18. Jahrhundert in Form eines neuen Wissens um die Welt artikuliert, sondern die Aufklärung wird mit der Umsetzung in die Praxis zu einem Wissenschafts-, Erziehungs- und Bildungsprojekt. Dadurch wird Aufklärung zu einem Projekt der Moderne, das weit über die Epoche hinausweist. Die Auffassung eines teleologisch geprägten Programms der Menschheitsgeschichte ist in doppelter Hinsicht in die Kritik geraten. Einerseits wird die Instrumentalisierung der Welt durch den Menschen, die Unterwerfung der äusseren Natur unter die wissenschaftlich-technische Rationalität und deren Folgeprobleme beklagt, andrerseits rückt die Naturbeherrschung am Menschen, die Verselbständigung der Herrschaft über die innere Natur ins Blickfeld. Die postmoderne Kritik stellt deshalb das Projekt Aufklärung generell in Frage. Dieser Kritik wird wiederum das Programm einer "reflexiven Aufklärung" entgegengehalten. Sie geht immer noch von der Notwendigkeit des Aufklärungsprogramms aus, versucht aber durch Selbstreflexion ein Korrektiv einzubauen, das Folgeschäden verhindert. Aufklärung ist nach dieser Auffassung ein unvollendetes Projekt der Moderne. Im Seminar soll diesen Spannungsfeldern nachgespürt werden. Dadurch wird Aufklärung nicht nur in einen historischen, sondern auch in einen aktuellen Kontext hineingestellt. Dies soll - gemäss der pädagogischen Ausrichtung des Seminars - dazu beitragen, neue Zugänge zu diesem Thema im Schulunterricht zu eröffnen.

Literatur:

Jürgen Habermas, Die Moderne - ein unvollendetes Projekt. Rede anlässlich der Verleihung des Adorno- Preises der Stadt Frankfurt (1980), in: Ders., Die Moderne - ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, Leipzig 1990 S. 32-54; Michel Foucault, Was ist Aufklärung? in: Daniel Defert, François Ewald (Hg.), Michel Foucault. Dits et Ecrits, Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 2005, S. 687-707.

 

Seminar HS 2010

 

Agrarreformen im 18. Jahrhundert: Auf den Spuren von "Agrobusiness" und Nachhaltigkeit

 

Die Förderung der Landwirtschaft war ein wichtiges Ziel der Reformbewegung des 18. Jahrhunderts. Eine Vielzahl von "Ökonomischen Gesellschaften" bemühten sich um die Verbreitung agrarökonomischen und agrartechnischen Wissens. Dazu wurden besondere Kontaktformen zur Landbevölkerung entwickelt und Leitfiguren geschaffen, die den Bauern zum Vorbild dienen sollten. Das prominenteste Beispiel ist der Zürcher Musterbauer Jakob Guyer, genannt "Kleinjogg", dem sogar Johann Wolfgang Goethe einen Besuch abstattete. An "Kleinjogg" kann der Doppelcharakter der Reformen besonders gut aufgezeigt werden. Durch seine rücksichtsvolle Wirtschaftsweise, den Einsatz natürlicher Dünger und den sparsamen Umgang mit den Ressourcen kann er als Vorläufer einer ökologischen, nachhaltigen Landwirtschaft gesehen werden. Das Streben nach Rechenhaftigkeit, nach Ertrags- und Gewinnmaximierung, nimmt allerdings schon Merkmale des modernen "Agrobusiness" vorweg. Die "Ökonomischen Patrioten", wie die aufgeklärten Reformer auch genannt werden, haben einen interessanten Quellenkorpus hinterlassen. Anhand dieser Quellen und von Forschungsliteratur soll der angedeuteten Ambivalenz nachgespürt werden, in der sich zugleich die Dialektik der Aufklärung widerspiegelt.

Literatur:

Clemens Zimmermann, Agrarreformen, in: Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon zum Aufgeklärten Absolutismus. Herrscher, Denker, Sachbegriffe, Wien, Köln, Weimar 2005, S. 106-111. Norbert Schindler, Wolfgang Bonss, Praktische Aufklärung. Ökonomische Sozietäten in Süddeutschland und Österreich im 18. Jahrhundert, in: Rudolf Vierhaus (Hg.), Deutsche Patriotische und gemeinnützige Gesellschaften, München 1980 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 8), S. 255-353. Rolf Graber, Reformdiskurs und soziale Realität. Die Naturforschende Gesellschaft in Zürich als Medium der Volksaufklärung, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 47 (1997), S. 129-150.

Seminar HS 2009

 

Die letzten grossen Hungerkrisen in Mitteleuropa

"Die Noth stieg um diese Zeit so hoch, dass viele eigentlich blutarme Leuthe kaum den (nächsten) Frühling erwarten mochten, wo sie Wurzeln und Kräuter finden konnten," schreibt der Kleinbauer und Garnhausierer Ulrich Bräker im Winter 1771/72. Er verweist damit auf die fatale Ernährungssituation in Notzeiten. Verschlimmert wird die Lage noch, indem eine Agrarkrise mit ihrer Abfolge von Missernte, Teuerung, Hungersnot, Mangelkrankheiten und Tod mit dem modernen Konjunkturzyklus einer Handelsstockung zusammenfällt. Diejenigen ländlichen Gewerbetreibenden, die nur noch von der Heimarbeit leben, sind der Krise besonders ausgeliefert, weil sie nicht mehr auf die Ressourcen der bäuerlichen Familienwirtschaft zurückgreifen können. Die letzten grossen Hungekrisen liegen nicht nur an der Schnittstelle von Krisen des "type ancien" und des "type moderne", sondern sie stehen auch im Spannungsverhältnis heftiger Diskussionen über die Krisenbekämpfungskonzepte. Dem traditionellen Instrumentarium einer protektionistischen Marktsteuerung steht die von den Physiokraten favorisierte Freihandelsdoktrin gegenüber. Im Seminar soll anhand von Quellen und Literatur eine Einführung in diese Problematik erfolgen. Zeitlich ist die Lehrveranstaltung auf die Krisen von 1771/72, 1816/17 und 1846/47 fokussiert. Die Arbeiten werden während und nach dem Seminar geschrieben.

Literatur:

Michael Huhn, Zwischen Teuerungspolitik und Freiheit des Getreidehandels: Staatliche und städtische Massnahmen in Hungerkrisen 1770-1847, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hg.), Durchbruch zum modernen Massenkonsum. Lebensmittelmärkte und Lebensmittelqualität im Städtewachstum des Industriezeitalters (Studien zur Geschichte des Alltags, Bd. 8), Münster 1987, S. 37-89; Rolf Graber, Protektionistische Marktsteuerung oder physiokratische Freihandelsdoktrin? Zum Verhalten städtischer Obrigkeiten in der Alten Eidgenossenschaft während der Hungerkrise 1770/72, in: Michael Fischer, Marita Gilli, Manfred Jochum, Anton Pelinka (Hg.), Aufklärung, Freimaurerei und Demokratie im Diskurs der Moderne. Festschrift zum 60. Geburtstag von Helmut Reinalter, Frankfurt a. M., Berlin, Bern u. a. 2003, S. 129-142.

Vergangene Semester

Seminar FS 2009

Spuren der Besiegten. Aufrührer und Aufstände in der populären Erinnerung

Nicht nur Staatsmänner, Diplomaten, Heerführer und Politiker haben eine Erinnerungskultur begründet, sondern auch Anführer von Bauernaufständen, Sozialrevolten und revolutionären Bewegungen. Während sich die Erinnerung an die Mächtigen in Denkmälern, Statuen, Memoiren und kanonisierten Texten manifestiert, lebt das Andenken der Ohnmächtigen in subtileren Formen weiter. Dazu gehören Lieder, Erzählungen, Bilder, persönliche Gegenstände, die den Status von Reliquien erhalten, aber auch spezielle Erinnerungsorte. Diese volkskulturellen Relikte geben Auskunft über die Leiden, Empfindungen, Sehnsüchte und Hoffnungen der einfachen Leute. Verdichtet sich die Erinnerung an die Mächtigen zu ideologischen Konstrukten, die wiederum der Legitimation der Herrschaftsverhältnisse dienen, kann die Erinnerung der Ohnmächtigen neue Widerstandstraditionen begründen. Im Seminar soll diesen Spuren der Besiegten nachgegangen werden. Nebst einer theoretischen Einführung in die Funktionsweise des kollektiven Gedächtnisses stehen konkrete Fallbeispiele im Zentrum der Einführungslektüre. Diese bilden wiederum die Grundlage für die Abfassung der Seminararbeiten, die während und nach dem Seminar geschrieben werden.

 

Literatur:

Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Jan Assmann u. Tonio Hölscher (Hg.), Kultur und Gedächtnis (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 724), Frankfurt a. M. 1988, S. 9-19; Paul Hugger, Sozialrebellen und Rechtsbrecher in der Schweiz. Eine historisch-volkskundliche Studie, Zürich u. Freiburg i. Br. 1976, S. 7-55; Eric J. Hobsbawm, Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Neuwied u. Berlin 1971, S. 11-46.

 

Seminar HS 2008

 

Zünfte als Institutionen der Vormoderne: Kulturelle, soziale und politische Praxis

Zünfte wurden in der Geschichtswissenschaft lange Zeit als starre Relikte der Vergangenheit betrachtet. Begriffe wie Apathie, Spiessbürgergeist, Stumpfsinn, Immobilität und Indolenz wurden zu ihrer Charakterisierung verwendet. Auf dem Weg zur bürgerlichen Gesellschaft galten sie als Hindernisse für die Entfaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Diese Urteile entspringen einer Modernisierungsperspektive, die kritisch hinterfragt werden kann. Immerhin stellten die Zünfte eine alteuropäische Wirtschaftsform dar, die jenseits von kapitalistischer Gewinnmaximierung und ruinösem Konkurrenzkampf das Überleben des einzelnen Hand-werkers zu garantieren vermochte und sich über Jahrhunderte als flexibel und anpassungsfähig erwies, also eher durch Dynamik als durch Statik gekennzeichnet war. Zudem ging von den traditionellen Strukturen eine Prägekraft aus, die auch nach dem Untergang der Zünfte noch nachwirkte. Im Seminar wird deshalb versucht, einen anderen, kulturgeschichtlich inspirierten Blick auf die Zünfte zu werfen. Im Mittelpunkt stehen sowohl Wahrnehmungformen und Selbstinszenierungen der Zünfter als auch die in Ritualen und Symbolen sich ausdrückenden Ordnungsvorstellungen einer uns fremden Welt. Die Erschliessung der kulturellen, sozialen und politischen Praxis dieser vormodernen Institutionen kann deshalb zu einer vertieften Reflexion über unsere gegenwärtige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beitragen.

Literatur:

Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Das Ende der Zünfte. Ein europäischer Vergleich, Göttingen 2002 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 151), S. 9-37; Markus Brühlmeier, Beat Frei, Das Zürcher Zunftwesen, Bd. 1, Zürich 2005, S. 141-318; Andreas Griessinger, Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegungen und kollektives Bewusstsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1981, S. 48-87.

 

Seminar FS 2008

Plebejische Widerstansformen: Unterschichtenprotest im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

In Polizeiberichten ist von "Brotcrawallen" und "Pöbelexcessen" die Rede, bürgerliche Beobachter sprechen von "Schwindelgeist" oder "Begriffsverwirrung" und zeitgenössische Philosophen räsonieren über "das Böse im Pöbel". Gemeint sind die sozialen Unruhen in der Umbruchphase von der alteuropäischen zur modernen Welt. Träger dieser Proteste sind mit der textilen Protoindustrie verflochtene, landarme und landlose Haushalte, Vertreter der in hartem Konkurrenzkampf stehenden Massenhandwerke wie Schneider, Schuster und Tischler, aber auch Taglöhner, Bedienstete und Handwerksgesellen. Sie werden in der Forschungsliteratur als plebejische Schichten bezeichnet. Das Seminar befasst sich mit den spezifischen Verhaltensweisen und Erfahrungen dieser vorproletarischen Bevölkerungsgruppen und will den Zusammenhängen zwischen Alltagskultur und Protestverhalten nachspüren. Durch die Rekonstruktion der Sinnhorizonte und Handlungsmotivationen soll die "soziale Logik" der Protestbewegungen erschlossen werden. Im Seminar erfolgt eine Einführung in die Thematik anhand von theoretischer Literatur und von ausgewählten Protestfällen. Vorausgesetzt wird die Bereitschaft, auch theoretisch anspruchsvolle Texte zu lesen und zu bearbeiten. Die Seminararbeiten werden am Schluss der Lehrveranstaltung geschrieben.

Literatur:

Hans Medick, Plebejische Kultur, Plebejische Öffentlichkeit, Plebejische Ökonomie. Über Erfahrungen und Verhaltensweisen Besitzarmer und Besitzloser in der Übergangsphase zum Kapitalismus, in: Robert M. Berdahl, Alf Lüdtke u. a. (Hg.), Klassen und Kultur. Sozialanthropologische Perspektiven der Geschichtsschreibung, Frankfurt a. M. 1982, S. 157-204; Arno Herzig, Unterschichtenprotest in Deutschland 1790-1870, Göttingen 1988 (Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1534).

 

Seminar HS 2007

Konstrukteure der Nation – Promotoren der Revolution:
Politische Vereine in Zentraleuropa 1815-1848

Zwischen 1815 und 1848 wurden Vereine verschiedenster Schattierungen gegründet. Die Palette reicht von den Studentenverbindungen, Turn- und Sängervereinen bis zu den frühen Assoziationen der Handwerker und Arbeiter. Neben diesen von Männern dominierten Zusammenschlüssen entstanden die ersten Frauenvereine. Im Prozess der Bildung von Nationalstaaten haben die Vereine eine doppelte Funktion: Zum einen sind sie wesentlich an der Ausgestaltung nationaler Identitätskonstruktionen und Selbstimaginationen beteiligt und tragen dadurch zur nationalen Integration bei. Zum anderen sind sie Beförderer politischer und sozialer Emanzipationsprozesse und Promotoren revolutionärer Bewegungen, welche die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft intendieren. Im Seminar sollen die Aktivitäten der Vereine im Hinblick auf diese beiden Funktionen untersucht werden, wobei ein Politikverständnis zugrunde gelegt wird, das sich nicht nur am männlichen Vereinshandeln orientiert, sondern speziell die politischen Ausdrucks- und Partizipationsmöglichkeiten von Frauenvereinen berücksichtigt.

Literatur:                              
Helmut Reinalter (Hg.), Politische Vereine, Gesellschaften und Parteien in Zentraleuropa 1815-1848/49 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770-1850“, Bd. 38), Frankfurt a. M. u. a. 2005.

Sommer-Semester 2007

Von der vormodernen zur modernen Demokratie. Kontinuitäten und Brüche.

HLM (Fachwissenschaftliche Vertiefung)

Die Frage nach dem Stellenwert der „direkten Demokratie“ ist im Hinblick auf eine „Europatauglichkeit“ der Schweiz zu einem wichtigen Diskussionsgegenstand geworden. Allerdings sollte diese Debatte nicht ohne historisches Wissen um die konfliktreiche Entstehungsgeschichte dieser Institution geführt werden. Neuere Forschungen haben nämlich gezeigt, dass keine direkte Kontinuitätslinie von der vormodernen zur modernen Demokratie führt, sondern dass auch Einflüsse von aussen notwendig waren, damit sich unser politisches System in der heutigen Form herausbilden konnte. Die Entwicklung der direkten Demokratie ist deshalb durch Kontinuitäten und Brüche gekennzeichnet. Von besonderer Bedeutung sind historische Phasen, in denen sich nationalgeschichtliche Vorgänge mit den Einflüssen der Revolutionen in Frankreich verknüpften. Am Beispiel der Helvetik, der Regenerationszeit und der „Demokratischen Bewegung“ der 60er Jahre soll dieses Zusammentreffen von mikro- und makrogeschichtlichen Perspektiven genauer untersucht werden, um dadurch die Wege zur Entstehung der direkten Demokratie nachzuzeichnen. Neben der Lektüre neuester Forschungsliteratur wird - gemäss der pädagogischen Ausrichtung des Seminars - besonders Wert auf die Arbeit mit Quellen gelegt.
 
Literatur:
Martin Schaffner, Direkte Demokratie „Alles für das Volk – alles durch das Volk“, in: Manfred Hettling u. a. (Hg.), Eine kleine Geschichte der Schweiz. Der Bundesstaat und seine Traditionen, Frankfurt a. M. 1998 (Edition Suhrkamp 2079), S. 189-226; Andreas Suter, Vormoderne und moderne Demokratie in der Schweiz, in: Zeitschrift für historische
Forschung 31 (2004), S. 231-254.

 

Sommer-Semester 2007

Kolloquium

Die Grenzen des Veränderbaren: Aufgeklärter Absolutismus im europäischen Vergleich

In grossen monarchischen Staaten, in kleineren Fürstentümern und sogar in Republiken hat sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Regierungsstil durchgesetzt, der gemeinhin als "Aufgeklärter Absolutismus" bezeichnet wird. Gekennzeichnet ist er durch ein neues Herrschaftsverständnis sowie durch einen umfassenden Anspruch des Staates zur Regulierung aller Lebensbereiche. Ansätze zu Verwaltungs-, Landwirtschafts- und Bildungsreformen gehören ebenso dazu wie Massnahmen zur Implantation moralischer Verhaltensmuster, die Tendenz zu religiöser Toleranz und die Verbreitung grösserer Rechtssicherheit. Der Epochenbegriff "Aufgeklärter Absolutismus" ist allerdings in der neueren Forschung umstritten. Einerseits wird der aufklärerische Hintergrund vieler Reformen hinterfragt, andrerseits wird auf Probleme bei der Durchsetzung verwiesen. Damit sind die Grenzen des Veränderbaren im absolutistischen Staat angesprochen. Die Durchsetzungschancen für Reformen sind sowohl von der Existenz einer entsprechenden Trägerschicht auf der unteren Ebene der Verwaltungshierarchie als auch von der Akzeptanz und dem Widerstand der Betroffenen abhängig. Anhand von neuer Forschungsliteratur und von Quellenmaterial sollen im Kolloquium diese Probleme diskutiert und die Tauglichkeit des Epochenbegriffs "Aufgeklärter Absolutismus" überprüft werden.

Literatur:

Helmut Reinalter, Harm Klueting (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, Wien, Köln, Weimar 2002; Helmut Reinalter (Hg.), Lexikon des Aufgeklärten Absolutismus in Europa. Herrscher, Denker, Sachbegriffe, Wien, Köln, Weimar 2005 (UTB 8316)

Rolf Graber, "Aufgeklärter Absolutismus". Historiographiegeschichtliche Aspekte und forschungspolitische Konsequenzen eines umstrittenen Epochenbegriffs, in: Aufklärung - Vormärz - Revolution. Jahrbuch der "Internationalen Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa von 1770-1850", Bd. 22/ 23/24/25 (2002-2005), S. 15-25.

Vergangene Semester (im Archiv)

 

Sommer-Semester 2003

 

Kolloquium: „Deregulierung“ und „Liberalisierung“: Zwei aktuelle Schlagworte in historischer Perspektive. (Epochenschwelle 18. /19. Jahrhundert)

Details siehe Archiv

Winter-Semester 2003/2004 / Sommersemester 2004

Seminar: Politisierungsprozesse nach 1789: Befreiungsbewegungen vor der Helvetischen Revolution als Experimentierfelder der Demokratie (Teil I / II )

Details siehe Archiv

Wintersemester 2004/2005  Sommersemester 2005

Kommunikationsfelder der Aufklärung: Sozietäten, informelle Zirkel und aufklärerische Aktivitäten in der Schweiz des 18. Jahrhunderts

Details siehe Archiv

Wintersemester 2005

Proseminar: Einführung in das Studium der Geschichte

Details siehe Archiv

Sommersemester 2006  Wintersemester 2006/2007

Wege zur direkten Demokratie in der Schweiz: Verfassungsrevisionsbewegungen während der Regenerationszeit

Details siehe Archiv